Ich bin gestolpert. Mehr als einmal. Über etwas, was ich mal als „Wertewandel“ bezeichne. Arbeit – was ist denn das? Und was ist diese Arbeitsmoral? Und wie sehen das die „jungen Leute“ heute? Die angeblich so wichtig sind und aber gleichzeitig ja alle irgendwie faul und die nicht mehr kopfrechnen können und überhaupt. Ich stolpere bei Verallgemeinerungen und Vorurteilen und ich stoße mich an Generationenkonflikten.Und ja, auch das hat etwas mit Vereinbarkeit zu tun. Und dem Verständnis von artgerechtem Arbeiten, um das es hier schließlich geht.
Ich bin fassungslos, wenn ich höre, dass die „Alten“ es für normal halten dem Azubi eine Kopfnuss zu geben. Mal ganz nüchtern betrachtet: Das ist mindestens übergriffig und nur, weil das immer so gemacht wurde, ist das nun mal nicht richtig. Und wenn junge Menschen dagegen „aufmucken“, dann finde ich das super und richtig – endlich! Und dann hat ein*e Arbeitgeber*in hier genau hinzusehen und sieht hoffentlich die Chance – und nicht nur den Aufwand und Ärger einer Abmahnung …
Industrie 4.0. Oder doch nicht?
Ich war auf einem Netzwerktreffen. Ich habe mich sehr fehl am Platz gefühlt, denn im Publikum saßen viele Mittelständler*innen und in meinem Verständnis wurde das Thema verfehlt. Warum? Überschrift des ganzen war „Arbeitswelt 4.0“. Nichts gegen solche Initativen, da machen sehr engagierte Menschen sehr tolle und wichtige Arbeit und ich nutze die Netzwerkveranstaltungen sehr gerne. Aber …
Individuelle Unhöflichkeit oder Generationenproblem?
Ich habe hier ein interessantes Gespräch führen können. Ganz ohne Visitenkartenaustausch und auch ohne berufliches Vernetzen, sondern einfach am Mittagstisch. Das war spannend für mich. Mir wird ja gerne mal vorgehalten, dass ich keinen Einblick in Firmen habe. Nun, mag sein bzw. ich habe für mich die Entscheidung getroffen mich nicht anstellen zu lassen. Allerdings stehe ich nicht außerhalb dieser Gesellschaft und ich rede mit Menschen.
Unter anderem mit dieser Dame, vielleicht Ende 40 oder Anfang 50, zwei große Kinder und selbst im Bereich HR tätig. Angestellt bei einem kleinen metallverarbeitenden Betrieb, dem es nicht gut geht – aber die Mitarbeiter fühlen sich wohl und erwarten keine Benefits. „Die freuen sich über eine Kiste Bier am Freitag Nachmittag“. Tja … Die jüngste Mitarbeiterin arbeite okay, habe aber ständig Anforderungen wie Wasser ohne Kohlensäure oder einen anderen Bürostuhl.
Vorwürfe und Missverständnisse
Wir kamen dann immerhin überein, dass da vielleicht jemand eher eine Portion Höflichkeit vertrüge und dass das nichts damit zu tun habe, dass diese Mitarbeiterin ihre Rechte kenne oder dass sie jung sei. Denn das war der – unausgesprochenen, aber deutliche – Vorwurf: Diese jungen Leute sollen gefälligst erstmal arbeiten. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Meine Antwort: Jain!
Worüber ich danach lange nachgedacht habe: Habe ich mit der Dame eigentlich über das gleiche Thema gesprochen? Denn natürlich ist ein Individuum nie eine Generation. Ich spreche von Trends und Entwicklungen, die erwiesenermaßen in den Generationen X und Y andere sind als in der Generation der Babyboomer. Ich spreche eben nicht von einem einzelnen Menschen. Ich spreche davon, dass es generelle Trends gibt, die wichtig sind und die Unternehmer*innen kennen sollten, wenn sie erfolgreich bleiben und am Markt bestehen möchten.
„Junge Leute“: Das liegt doch nicht am Alter! Das ist klug!
Passend dazu bin ich zwei Tage später auf einen Tweet und eine Diskussion gestoßen. Tweet? Ja, genau, dieses Twitter meine ich. Und ja, hier findet Kommunkation von echten Menschen statt. Solche zum Beispiel:
puh ja junge Leute einfach komplett merkwürdig
(https://t.co/5vPRsbetdL) pic.twitter.com/aommlRgqLy— Margarete Stokowski (@marga_owski) July 10, 2019
Es lohnt sich, die Diskussion zu diesem Tweet genauer anzusehen. Der ursprüngliche Artikel wiederum schließt den Bogen zur oben angesprochenen Veranstaltung. Da sind Geschäftsführer*innen oder Manager*innen, die anscheinend die Welt nicht mehr verstehen – weil sich diese Welt eben weiter entwickelt hat.
Ja, ich finde auch, dass die oben angesprochene junge Dame auf Wasser ohne Sprudel besteht, ist auf mehreren Ebenen blöd. Da müssen wir nicht weiter drüber reden und das sind mir die Zeilen hier nicht wert…
Bewerbermarkt kommt, egal wie anstrengend das ist
Aber es ist eine Tatsache, dass sich die HR-Welt verändert, rasant verändert. Es ist Fakt, dass es immer mehr zu einem Bewerbermarkt kommt. Da ist es total egal, ob ich das gut finde als Mittelständler*in oder auch als Manager*in eines Weltkonzerns. Es ist so – und ich muss mich damit abfinden und schauen, wo ich bleibe bzw. wo meine Firma bleibt auf der Suche nach Fachkräften.
Ich mag noch den Headhunter Harald Fortmann zitieren, gehört im Podcast „Be Your Brand“, #16: 016 Wie du dich optimal präsentierst – Interview mit Headhunter Harald Fortmann:
„Ich möchte so gerne eigentlich von dem Thema wegkommen überhaupt über Gender zu sprechen und stattdessen über Talente oder Potentiale sprechen. Denn letztendlich muss es egal sein ob es ein Mann oder eine Frau ist. Das einzige ist, solange wir über Frauen und Vereinbarkeit von Familie und Beruf sprechen statt über Eltern und Vereinbarkeit von Familie und Beruf, wird es nicht vorangehen.“
Jo. Amen. Siehe auch mein Artikel hier über die sehr beeindruckenden Zahlen zu Vätern und ihren Wünschen. Das sind diese Männer, die ja so gerne gesehen sind als Arbeitnehmer, weil sie nicht schwanger werden können und deshalb auch nicht ausfallen. Also, so war es mal…. hüstel. Aber mittlerweile, da nehmen ja sogar die Männer dieses … Dings … Elternzeit – sogar in der Industrie! (Achtung, das war Ironie!)
Vom „Arbeitgeber für“ zum „Bewerber um“ Fachkräfte
Das Interview mit Harald Fortmann geht spannend weiter. Ja, genau das sage ich und ja, es ist gar nicht schlimm oder teuer. Im Gegenteil, liebe Arbeitgeber*in, es wird so richtig, richtig teuer, wenn man ständig neue Mitarbeiter*innen akquirieren und onboarden und all das muss.
„Die Unternehmen, die diese Bereitschaft nicht zeigen, auf diese Entwicklung einzugehen, werden auch nicht lange existieren. Wir sind in einen Kandidatenmarkt. Das heißt die Kadidaten können sich ausssuchen, bei wem sie arbeiten. Und das verändert die Arbeitswelt komplett. Das heißt, wenn ich nicht auf die Anforderungen eingehe – sei es Mobile Office, sei es Kita, sei es Dienstfahrrad, oder was auch immer, Beteiligung am Unternehmen – werde ich diese Mitarbeiter nicht bekommen oder nicht halten können. Und das ist eine Evolution, die wir auch sehen werden, wenn Mitarbeiter merken „Oh mein Arbeitgeber machts nicht, aber der Arbeitgeber dahinten hat eine eigene Kita gegründet“. Amen!
Lieber selbständig als weiter angestellt
Worüber ich in diesem Thema noch gestolpert bin, ist die Arroganz von „denen da oben“ in diesem Artikel bei der Süddeutschen.
Denn mal ehrlich: Ja, stimmt! Ich bin auch nicht bereit irgendwo anders hinzuziehen. Denn hier ist mein Leben und mein Leben ist halt mehr als Arbeit. Vor allem hängt da eine Familie dran, Menschen in ihrem Umfeld. Natürlich will ich nicht nach München, Hamburg, Frankfurt. Ich für mich mache lieber mein Ding. Und ich kenne sehr viele, gerade aber lange nicht nur Frauen, die das genauso sehen und sich genau deshalb selbständig machen. Und dann, da schließt sich der Kreis. Denn diese hoch ausgebildeten, gut vernetzten und schlicht klugen Frauen verkaufen ihre Dienstleistung dann eben teurer und flexibler an ihre*n alte*n Arbeitgeber*in – als nun selbständige Beraterin oder Coachin oder hochspezialisierte Dienstleisterin. Ätsch.