Nach meinen Artikel Vereinbarkeit als Instrument für Arbeitgeber*innen – gerade rund um das Trendthema „New Work“ möchte ich doch einmal persönlich werden. Denn das hier ist ein Blog und hier geht es eben auch um – meine – Meinung zur Vereinbarkeit. Nebenbei gemerkt wird es auch weiterhin um Modelle und Zahlen und Analysen gehen. Aber ich möchte auch meinen Senf dazu geben.
Ich lasse mal den Tweet drin – der hat eine so krasse Wirkung, wenn man ihn lässt… Bitte sehr:
Ich habe heute eine Stelle abgelehnt, weil ich dann zu 50% auf Reisen wäre.
Gehalt wäre etwa 30% höher.
Kurz war es komisch. Jetzt aber fühle ich mich sehr gut. Kein Geld der Welt kann das Gefühl ersetzten, mein Kind aufwachsen zu sehen.— Papa (@BigJogi) June 12, 2019
Familie = Privatsache?!
Also zur individuellen Ebene:
Ja, es ist wunderbar, ganz für sein Kind da zu sein. Aber irgendwann reicht das einfach nicht mehr. Ganz persönlich aus meiner Erfahrung empfinde ich es als ungerecht und für die Kinder nicht fair, wenn die Mutter (oder der Vater oder eine andere primäre Bezugsperson, völlig egal) so lange zuhause bleibt. In den meisten Familien gibt es zwei Eltern und das Kind braucht beide. Punkt.
Auch aus Perspektive der Väter, wenn wir hier von der klassischen Hetero-Familie ausgehen: Wie unfair!
Es wird der zweiten Bezugsperson ungleich schwerer gemacht eine wirkliche Beziehung zu diesem kleinen Menschen aufzubauen, auf die sich ja beide ihr Leben lang verlassen wollen. Bindung braucht Zeit – und funktioniert eben nicht in zwei extra Elternzeit-Monaten am Strand in Thailand! By the way: Ich war fassungslos, dass es anscheinend das Gerücht gibt, dass Vätern nur diese zwei Monate zustehen. Bullshit, Männer! Ihr habt Recht auf Elternzeit – nicht nur eurem Arbeitgeber gegenüber, sondern auch den Müttern eurer Kinder gegenüber! Vereinbarkeit ist unisex.
Und auch aus Perspektive der Kinder: unfair! Mama will drei Jahre oder länger zuhause sein und Mama sein. Das Kind als einziger Inhalt? Welche Bürde! Das Kind sollte sich doch selbst genug sein (dürfen)…
Nochmal: Meine Meinung! Die Welt ist bunt und ich mag alle Farben, sehe nicht schwarz-weiß. Aber das hier ist ein Blog und hier zählt meine Meinung. Bitte sehr, das ist sie.
Meine Meinung und die liebe Politik
Ob und in welcher Form Kinder andere Kinder brauchen, darum soll es hier nicht gehen. Auch nicht um Mütterbashing oder Erziehungsstile. Schon die Kleinsten lernen aus der Beobachtung und Interaktion. Wer als Mama / Papa glaubt, das – auch noch – selbst leisten zu können, kann nur scheitern und manövriert sich schlussendlich zielstrebig ins Burnout oder in die Unzufriedenheit. Gute Reise.
Natürlich und ohne jede Ausnahme muss eine Betreuung “gut” sein! Bindung und Vertrauen bilden die Basis. Deshalb sollten sich Eltern niemals auf eine “Holter-die-Polter-Eingewöhnung” bei einem Kleinkind von 18 Monaten einlassen, weil „wir machen das hier so und vertrauen Sie uns da mal“. Das geht einfach nach hinten los und am Ende leiden die Kinder und die Eltern – und schlussendlich übrigens auch der Arbeitgeber, wenn aus der Not heraus die Elternzeit verlängert wird. Dann ist der Elterngeldanspruch natürlich aufgezehrt und so kommt für Familien häufig auch noch der finanzielle Druck, dass die Eingewöhnung einfach klappen muss. Hmmm…
Damit sind wir direkt politisch. Aufgrund des politischen Konstrukts zur Vereinbarkeit haben wir in Deutschland mit Elternzeit und Elterngeld und vor allem mit den verschiedenen, leider oft kaum bekannten und schwierig zu überblickenden, Möglichkeiten, eine Luxussituation. Doch nach Ende der Elternzeit – was kommt dann? Hier gibt es leider keine Unterstützung. Hier stehen Eltern oft relativ alleine da. bzw. umringt von anderen Eltern mit Kindern im gleichen Alter, in der gleichen Situation…
Geht das auch besser?
Wie geht so eine klassische Betreuungshistorie (formerly known as “Kindheit”) weiter? Wie läuft sowas gut? Vom Entwicklungsstand aus betrachtet ist der Zeitpunkt nach Ende des klassischen einen Jahres Elternzeit nicht gerade optimal, da die Kinder in einer wirklich sensiblen Phase sind und fremdeln. Das ist normale Entwicklung, da kann keiner was dafür. Trotzdem blöd. Schön wäre ein flexibler Übergang. Eine liebevolle Tagesmutter oder eine andere Möglichkeit, die zur Familie passt, auffängt und begleitet.
Es gibt gerade hier, beim Wiedereinstieg, so viele Möglichkeiten, dass der Arbeitgeber diese sensible Phase bewusst wahrnimmt und Lösungen schafft. Warum denn nicht ein flexibles Stundenkonto einführen? Warum nicht Home Office? Warum nicht … Vereinbarkeit im eigenen Unternehmen leben? Als Teil der Unternehmes-DNA und der eigenen Kultur?
Die Möglichkeiten sind immens. Einige davon gehen nicht für alle Unternehmen, das ist klar. Vieles ist aber individuell anpassbar. Wenn es denn gewollt ist! Wenn es der Firmenkultur entspricht und gelebt wird. Und dann kann Mitarbeiter*innen wohlwollend, wertschätzend und in einer solchen Situation ruhig auch mal fürsorglich begegnet werden. Denn wenn ich mich für meine*n Mitarbeiter*in sorge, hat er*sie selbst vielleicht ein paar Sorgen weniger und ein paar mehr Gedanken für den Job… Wenn es soweit ist…
Wie geht’s weiter?
Ich bearbeite dieses Thema hier in meinem Blog natürlich weiter. Außerdem stehe ich für dieses Herzensthema Rede und Antwort – gerne in Form von Keynote Speeches oder Seminaren. Am besten spricht man persönlich, gerne bei einem Kaffee, über individuelle Ideen für individuelle Menschen.